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Mein Hahn

 Von Spozhmai Zaryab

 

Übertragen aus dem Farsi-Dari von Kawa Ahang

 

Es war abends. Ich kam mit meiner Tochter, die ich von der Schule abgeholt hatte, nach hause. Sie nahm von ihrem kleinen Rücken mit Mühe ihre Tasche ab und legte sie auf dem Boden. Unbewusst stellte ich ihr, wie gewohnt, die tägliche Frage:

-           Hausaufgaben?

-           Nur eine. Malen.

-           Was malen?

- Einen Hahn, den Hahn des portugiesischen Königs.

- Wessen Hahn?

- Den Hahn des portugiesischen Königs. Kennst du den König von Portugal nicht?

- Nein.

- Seinen Hahn kennst du auch nicht?

- Nein, kenne ich nicht.

Meine Tochter, die erst fünf oder sechs Jahre alt war, zog ihre Augenbrauen nach oben und sah mich mit ihren schwarzen, mandelförmigen Augen derart merkwürdig an, als wäre es, das Üblichste in der Welt, den König von Portugal und den Hahn des portugiesischen Königs zu kennen und ich wäre der einzige Mensch, der diesen Hahn und diesen König nicht kennt. ,,Unsere Lehrerin hat uns das Märchen des Königs erzählt", sagte meine Tochter und begann mit einer kurzen Zusammenfassung.

,,In Portugal hat es früher einen bösen König gegeben. Eines Tages, während er am Esstisch saß, brachten seine Soldaten einen jungen Mann zu ihm. Obwohl dieser Mann unschuldig war, verurteilte ihn der König zum Tode. ,,Ich bin unschuldig", schrie der junge Mann. Der König ließ einen Moment vom Essen und Trinken ab, sah den jungen Mann böse und verwundert an und fragte: ,,Wie kannst du Deine Unschuld beweisen?" Der junge Mann blickte hilflos um sich und sah einen gegrillten Hahn, der auf einem Tablett vor dem König lag. Er schrie: ,,Wenn dieser Hahn, den Sie gerade essen, aufersteht und fliegt, werden Sie dann an meine Unschuld glauben?" Der besoffene König schaute sich lächelnd den Hahn an...... .  Auf einmal bewegte sich der Hahn auf dem Tablett. Die Federn und Flügel wuchsen ihm nach, er wurde wieder ein schöner Hahn, flog und stand neben dem Tablett."

Meine Tochter fuhr fort und erzählte, wie sich alle auf den König stürzten und wie... .    Ich war aber schon längst an dem Höhepunkt der Geschichte angelangt, ein gegrillter Hahn wurde wieder lebendig, Federn und Flügel wuchsen ihm, nach und er stand neben dem Tablett... . Das Gesicht meiner Tochter war vor lauter Aufregung gerötet, sie atmete laut und war regelrecht von der Geschichte verzaubert...

Ich entsinne mich nicht mehr, wie lange wir nichts gesagt haben. Meine Tochter schaute mich die ganze Zeit ruhig an, suchte die Wirkung ihrer Geschichte in meinen Augen und wartete darauf, dass ich etwas sage. Ich war sprachlos. Die Geschichte hatte mich fasziniert und ich war verstummt...

,,Schön, ne? Hat es dir gefallen?", fragte sie. Ja, sehr, antwortete ich.

Froh und zufrieden eilte sie zu ihrem Zimmer, und ich hörte noch, dass sie sagte: ,,Unsere Lehrerin hat gesagt, dass wir diesen Hahn malen müssen."

Für einen Moment stand ich allein und ziellos im Flur. Dann ging ich, wie vorprogrammiert, zur Küche und wie jeden Abend, wie alle anderen Abende, nahm ich den Topf, machte den Herd an und wie jeden Abend, wie alle anderen Abende, versank ich in die eintönigen Geräusche des Geschirrs.

 

Aber das Märchen des portugiesischen Königs hatte mich sehr mitgenommen. Ich habe das Gefühl gehabt, als gehörten mir meine Hände nicht, als arbeiteten sie von selbst.

Ich dachte, ich höre die eintönigen Geräusche des Geschirrs und des Bestecks aus der weiten, aus der sehr weit entfernten Vergangenheit.

Ich war versunken im Märchen meiner Tochter, in dem ein Mensch es geschafft hatte, seine Unschuld mit so viel Phantasie und Sinnlichkeit beweisen zu können. Und ich stellte mir den diktatorischen König vor, der unter seiner Krone auf einem Thron sitzt, dem das Saufen den letzten menschlichen Wert, wovon er ohnehin nicht viel besaß, verdorben hat und aus der Höhle seines stinkenden Mundes nur üble Beschimpfungen rausspringen, wie Wasser aus dem Springbrunnen. Ich wurde traurig, ich dachte, dass meine Umgebung, dass die Welt voller Könige ohne Krone und ohne Thron ist, denen die Gruben ihrer Münder aufgehen und denen üble, entehrende Beschimpfungen herausspringen, wie Wasser aus dem Springbrunnen und sie die Unschuldigen an den öffentlichen oder nicht öffentlichen Galgen hängen.

  

*********

 Ich weiß nicht, wie viel Zeit vergangen war, als ich aus der Küche nach Portugal und aus Portugal in die Küche zurückgekehrt war, aber jedes mal wünschte ich mir einen Hahn, der sich eines Abends auf einem Teller bewegt, seine Flügel aufschlägt und fortfliegt.

 

Das Wasser in dem Topf auf dem Herd kochte und lief ein wenig über. Ich rannte und stellte die Flamme niedriger. Das Gekochte kostete ich hastig auf die Menge des Salzes. Ich hatte Angst. Das Essen durfte nicht zu salzig werden, sonst hätte ich wieder  einen weiteren Grund für eine weitere Demütigung in meinem ohne hin gänzlich gedemütigten Leben geliefert.

 

********

 Ich hörte die Schritte meiner Tochter, die mit großer Begeisterung in die Küche lief. An der Tür angekommen, sagte sie laut, fast schreiend:

 

- Augen zu! Der Hahn ist da!

 

Mit fettverschmierten Händen stand ich bewegungslos da und schloss meine Augen.,, Augen auf!", sagte sie mit ihrer sanften Stimme. Ich öffnete langsam meine Augen. Das, was ich sah, war unglaublich. Sie hatte trotz ihres Alters einen so schönen Hahn gemalt, dass ich mich wunderte. Die Flügel des Hahns waren ein wenig aufgeschlagen, er blickte mit erhobenem Kopf, der mit einer roten Krone geschmückt war, zum Himmel. Die Federn und Flügel waren blau und rot gefärbt - dunkelblau, hellblau, dunkelrot, hellrot, Mischungen aus blau und rot-lila in verschiedenen Farbtönen 

 

So, wie ich mir den Hahn aufmerksam anschaute, dachte ich, dass ich diesen Hahn schon einmal irgendwo gesehen habe...

 

Meine Tochter stand noch an der Tür der Küche, hielt das Blatt wie ein Transparent hoch über den Kopf und wartete auf ein Lob von mir.

Ich wusch meine Hände, ging auf die Knie hinunter, so dass ich ihr direkt in die Augen schauen konnte, ,,Augen zu!", sagte ich ihr. Sie schloss lächelnd ihre Augen, und ich habe sie geküsst. Und wie alle Mütter ihre Kinder wiederholt loben, lobte ich sie:

 

- Sehr gut, sehr, sehr gut.

 

Meine Tochter freute sich sehr und lief zurück in ihr Zimmer.

 

Da war ich wieder in meiner Einsamkeit, umgeben von Töpfen, Schüsseln, Gewürzen.... Ich trug mich wieder mit dem Gedanken, dass ich jenen Hahn irgendwo gesehen habe. Wie war es möglich?

 

Ich konnte mich nicht konzentrieren. Ich war mit meinen ganzen Gedanken bei dem Hahn, fragte mich, weshalb er mir so bekannt vorkam.

 

Ich versuchte, den Hahn zu vergessen. Aber ich merkte, egal, woran ich dachte, dass sich meine Gedanken immer wieder um ihn drehten.

Ich weiß nicht, wie viel Zeit vergangen war. Auf einmal dachte ich, dass sich etwas in meinem Kopf bewegte. Ein farbloser Hahn flog aus den weit entfernten Erinnerungen, aus der Tiefe meines Unterbewusstseins an die Oberfläche. Er bekam allmählich Farbe, dunkelblau, hellblau, dunkelrot, hellrot, Mischungen aus blau und rot, lila in verschiedenen Farbtönen...

 

Den Hahn hatte ich selbst gemalt. Für einen Moment kam es mir vor, als wäre ich samt Küche und all den Sachen in einer tiefen Trauer versunken. Mein Hahn hatte nicht die Kraft und die Fähigkeit seines portugiesischen Ebenbilds gehabt.

 ********

 Damals, als ich noch nicht lesen und schreiben konnte, hat mein Vater, bevor er zur Arbeit musste, meinem Bruder und mir Papier gegeben und betonte liebevoll:

 

- Ihr könnt etwas malen.

 

Abends, dann, als das Wohnzimmer von dem Duft des grünen Tees erfüllt war, hörten wir unsere Mutter sagen:

 

- Haltet eure Zeichnungen bereit!

 

Da wussten wir, dass mein Vater bald kommen wird. Da ich die meiste Zeit des Tages mit Malen verbracht hatte, ordnete ich die Papiere vorsichtig und legte sie auf der Fensterbank bereit...

 

********

 Mein Vater saß immer auf seinem gewohnten Platz, mein Bruder und ich setzten uns rechts

und links von ihm. Er sah sich unsere Zeichnungen so aufmerksam an, als hinge unser

Schicksal und das der Welt davon ab. Sobald mein Vater eine unserer Zeichnungen in der

Hand hielt, sagten wir zeitgleich:

- Das ist ein Baum.

- Das ist eine Vase.

- Das ist ein Pferd.

- Das ist ein Reh.

- Das ist eine Katze.

Und mein Vater sprach über unsere Zeichnungen, über die Schönheit einer Blume, eines Baumes. Er redete von der Schönheit eines Rehs und eines Pferdes. Manchmal handelte das Thema von kleinen Dingen, er nahm eine getrocknete Maulbeere vom Teller, legte sie auf seine Hand und machte uns auf ihren komplizierten, wundersamen Bau aufmerksam, und dann drückte er die Maulbeere zwischen den Finger, bis sie in kleinen Teilen auseinander fiel. Die Innenfläche seiner weißen Hand füllte sich mit winzigen lila Pyramiden. Er hielt uns dann zwei, drei Stück von den winzigen lila Pyramiden vor die Augen und sagte:

- Schaut euch die Farben und den Bau dieser Teilchen an...

 

Es kam uns vor, als hatten wir gerade die Maulbeere entdeckt. Wir nahmen sie behutsam vor dem Licht der Lampe hoch und schauten sie uns aufmerksam an. Dann legten wir sie in den Mund und kauten sie. Unsere Blicke starrten unentwegt in eine Richtung, und wir konzentrierten uns ganz auf den Geschmack der Maulbeere. Wir wunderten uns über den süßen Geschmack der so kleinen Teilchen. Es schien uns, als verwandelte sich unser kleines Wohnzimmer in ein wissenschaftliches Laboratorium für Pflanzen, Farben und vieles mehr, in dem getrocknete Maulbeeren mit ihren lila Pyramidchen oder die roten und grünen Pistazienkerne nicht mehr die gewöhnlichen Formen und Farben behielten, sondern sich in andere wunderschöne, unvergleichliche Dinge verwandelten, die uns verzauberten. Die Wunder der Schönheit der Dinge erstaunte uns. Mitten drin in dieser Schönheit, fühlten wir uns stark und waren stolz, in einer Welt voller Schönheit zu leben.

 

 

 

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