Kabulnath


 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Persisch

Deutsch

Home

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Die Verfassung
der Islamischen Republik
 Afghanistan


Übersetzt von
Gholam Djelani Davary

 

Die Entwicklung Afghanistans schreitet trotz Rückschläge und Missmanagement stetig voran. Nachdem die neue Verfassung verabschiedet, der Staatsoberhaupt, das Parlament und der Senat gewählt und mit ihrer Arbeit begonnen haben, besitzt Afghanistan alle drei wichtigen Säulen des Staatsgebildes, um funktionieren zu können: Die Legislative, die Judikative und die Exekutive. Alles soll in Zukunft nach Gesetz und Ordnung geregelt werden. Um zu wissen, was in der afghanischen Verfassung steht, präsentieren wir Ihnen nun die deutsche Übersetzung der neuen afghanischen Verfassung. Diese ist von dem bekannten Orientalist, Sachverständiger, Dolmetscher und Übersetzer Herrn DAVARY in Zusammenarbeit mit dem Marx-Planck-Institut in Heidelberg angefertigt worden und gilt als die autorisierte Übersetzung in eine europäischen Sprache. Wir danken dem Max Plank Institut in Heidelberg, dass es uns die Veröffentlichung dieser Übersetzung auf unserer Homepage zugestimmt hat und freuen uns, sie ihnen nun präsentieren zu können. 

 

Textfeld: M A X – P L A N C K – I N S T I T U T
F Ü R   A U S L Ä N D I S C H E S   Ö F F E N T L I C H E S   R E C H T
U N D   V Ö L K E R R E C H T
 
Direktoren: Professor Dr. Armin von Bogdandy · Professor Dr. Dr. h.c. Rüdiger Wolfrum
 


 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 


 

Die Verfassung der Islamischen Republik Afghanistan

 

  

(Übersetzt von Gholam Djelani Davary, Wiesbaden, unter Mitwirkung des Max-Planck-Institutes für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, Heidelberg)

 


 

 

 

Im Namen Gottes, des Barmherzigen, des Erbarmers

 

Erlass

des Präsidenten der Islamischen Übergangsregierung

Afghanistans

 

über die Unterzeichnung der Verfassung Afghanistans

 

Nr.: 103                                                                     Datum: 7.11.1382 = 27.01.2004

 

 

 

Im Namen des erhabenen Gottes und zum Wohl des edlen und friedliebenden Volkes Afghanistans verkünde ich die Unterzeichnung und das Inkrafttreten der neuen Verfassung, die durch die Große Ratsversammlung (Loya Dschirga), die vom 22. Qaus bis 14. Dschadi 1382 H. (= 13.12.2003 bis 04.01.2004) in Kabul tagte, in 12 Kapiteln und 162 Artikeln einstimmig angenommen wurde.

 

Ich flehe den erhabenen Gott an, dass diese Verfassung unter Berücksichtigung der Gebote der heiligen Religion des Islam, der Festigung der nationalen Einheit, der Verwirklichung der demokratischen Ziele, des Aufbaus der Zivilgesellschaft und des allgemeinen wirtschaftlichen, sozialen, politischen und kulturellen Wohlstandes ein Leuchtfeuer auf dem Weg des Staates und der Bürger des Landes werden und Frieden, Gleichheit und Brüderlichkeit innerhalb der afghanischen Nation sichern möge.

 

Mit Gottes Hilfe

 

Hamid Karzai

Präsident der Islamischen Übergangsregierung Afghanistans

 

 

6. Dalwa 1382 Hidschra = 25.01.þ2004

Kabul

 

 

Im Namen Allahs, des Erbarmers des Barmherzigen,

Lob sei Allah, dem Weltenherrn, Gottes Segen und Friede sei mit Mohammad

(Gott segne ihn und schenke ihm Heil), dem Haupt der Propheten und der Gesandten und mit allen seinen Nachkommen und Gefährten
 

 

 

 

 

 

Inhaltsverzeichnis:

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Überschrift

 

Anzahl der Artikel

 

 

 

Präambel

 

 

 

 

 

Kapitel 1: Der Staat

 

21 Artikel

 

 

 

Kapitel 2: Die Grundrechte und Pflichten der Bürger

 

38 Artikel

 

 

 

Kapitel 3: Der Staatspräsident

 

11 Artikel

 

 

 

Kapitel 4: Die Regierung

 

10 Artikel

 

 

 

Kapitel 5: Die Nationalversammlung (Schuraye Melli)

 

29 Artikel

 

 

 

Kapitel 6: Die Große Ratsversammlung (Loya Dschirga)

 

6 Artikel

 

 

 

Kapitel 7: Die Justiz

 

20 Artikel

 

 

 

Kapitel 8: Die Verwaltung

 

7 Artikel

 

 

 

Kapitel 9: Der Ausnahmezustand

 

6 Artikel

 

 

 

Kapitel 10: Verfassungsänderungen

 

2 Artikel

 

 

 

Kapitel 11: Verschiedene Bestimmungen

 

7 Artikel

 

 

 

Kapitel 12: Die Übergangsbestimmungen

 

5 Artikel

 

 

 


 

Präambel

 

 

Wir, das Volk von Afghanistan, haben

 

·1              im festen Glauben an den heiligen Gott, den Allmächtigen, und im Vertrauen auf den Willen des erhabenen Gottes und im Glauben an die heilige Religion des Islam,

·2              im Wissen um die Ungerechtigkeiten, die Wirren der Vergangenheit und die unzähligen Leiden, die über unser Land hereingebrochen sind,

·3              in Anerkennung der Opfer, der historischen Kämpfe, des heiligen Krieges (Jihad) und des gerechten Widerstandes aller Menschen Afghanistans und im Respekt vor der hohen Stellung der Märtyrer zur Befreiung des Landes,

·4              im Bewusstsein, dass das einheitliche und unteilbare Afghanistan allen Ethnien und Völkern dieses Territoriums gehört,

·5              in Achtung der Charta der Vereinten Nationen und der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte,

·6              zur Festigung der nationalen Einheit, der Wahrung der Unabhängigkeit, der nationalen Souveränität und der territorialen Integrität des Landes,

·7              zur Schaffung einer auf dem Willen des Volkes und Demokratie beruhenden Staatsordnung,

·8              zur Errichtung einer Zivilgesellschaft ohne Unterdrückung, Willkür, Diskriminierung und Gewalt und basierend auf Rechtsstaatlichkeit, sozialer Gerechtigkeit, dem Schutz der Menschenrechte und der Menschenwürde sowie der Sicherung der Freiheiten und Grundrechte der Menschen,

·9              zur Stärkung der politischen, sozialen, wirtschaftlichen und der Verteidigung dienenden Institutionen des Landes,

·10            zur Sicherung von Wohlstand und gesunder Umwelt für alle Bewohner dieses Landes,

·11            und schließlich zur Stärkung eines Afghanistan angemessenen Platzes in der Völkergemeinschaft,

 

diese Verfassung unter Berücksichtigung der historischen, kulturellen und sozialen Realitäten des Landes sowie der Erfordernisse der Zeit durch unsere gewählten Vertreter in der Großen Ratsversammlung (Loya Dschirga) am 14. Jadi 1382 Hidschra (= 04.01.2004) in der Stadt Kabul verabschiedet.

 

 

Kapitel 1

 

Der Staat

 

Artikel 1

Afghanistan ist eine Islamische Republik, ein unabhängiger, unitarischer und unteilbarer Staat.

 

Artikel 2

Die Religion des Staates der Islamischen Republik Afghanistan ist die heilige Religion des Islam.

Die Anhänger anderer Religionen sind frei, ihrem Glauben zu folgen und ihre religiösen Zeremonien im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen auszuüben.

 

Artikel 3

In Afghanistan darf kein Gesetz dem Glauben und den Bestimmungen der heiligen Religion des Islam widersprechen.

 

Artikel 4

Die Staatsgewalt in Afghanistan geht vom Volk aus, das sie direkt oder durch seine Vertreter ausübt.

Die afghanische Nation besteht aus allen Personen, welche die Staatsangehörigkeit Afghanistans besitzen.

Die afghanische Nation besteht aus den Völkerschaften der Paschtunen, Tadschiken, Hazaras, Usbeken, Turkmenen, Balutschen, Paschais, Nuristanis, Aimaqs, Araber, Kirgisen, Qizilbaschs, Gojars, Brahuis und anderen Ethnien. Das Wort „Afghane“ wird für alle Staatsbürger Afghanistans verwendet.

Keinem Bürger Afghanistans kann die afghanische Staatsangehörigkeit aberkannt werden.

Staatsangehörigkeits- und Asylangelegenheiten werden durch Gesetz geregelt.

 

Artikel 5

Die Durchführung der Bestimmungen dieser Verfassung und sonstiger Gesetze, die Verteidigung der Unabhängigkeit, der nationalen Souveränität, der territorialen Integrität, die Gewähr der Sicherheit sowie der Verteidigungsfähigkeit des Landes gehören zu den Grundpflichten des Staates.

 

Artikel 6

Der Staat ist zur Schaffung einer wohlhabenden und fortschrittlichen Gesellschaft, basierend auf sozialer Gerechtigkeit, dem Schutz der Menschenrechte und der Menschenwürde, der Verwirklichung von Demokratie, zur  Sicherung der nationalen Einheit und Gleichheit unter allen Ethnien und Stämmen und zu einer gleichmäßigen Entwicklung in allen Gebieten des Landes verpflichtet.

 

Artikel 7

Der Staat achtet die Charta der Vereinten Nationen, die internationalen Verträge und Konventionen, denen Afghanistan beigetreten ist, sowie die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte.

Der Staat verhindert jede Art terroristischer Aktivitäten, Drogenanbau und
-schmuggel, Produktion und Konsum von Rauschmitteln.

 

Artikel 8

Der Staat regelt die Außenpolitik des Landes auf der Grundlage der Wahrung der Unabhängigkeit, des nationalen Interesses, der territorialen Integrität, der Nichteinmischung, der guten Nachbarschaft, der gegenseitigen Achtung und der Gleichberechtigung.

 

Artikel 9

Minen, andere unterirdische Ressourcen und kulturelle Schätze sind Eigentum des Staates.

Schutz und Verwaltung des Staatseigentums, vernünftige Nutzung der natürlichen Ressourcen und des sonstigen öffentlichen Eigentums werden durch Gesetz geregelt.

 

Artikel 10

Der Staat fördert und schützt private Investitionen und Unternehmen auf der Grundlage der marktwirtschaftlichen Ordnung und garantiert deren Sicherheit nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen.

 

Artikel 11

Die Angelegenheiten des Binnen- und Außenhandels werden nach den wirtschaftlichen Erfordernissen des Landes und im Interesse der Bürger durch Gesetz geregelt.

 

Artikel 12

„De Afghanistan Bank“ ist die Zentralbank des Staates. Sie ist unabhängig.

Der Druck der Banknoten sowie Planung und Durchführung der Geldpolitik des Landes gehört zu den Befugnissen der Zentralbank nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen.

Die Zentralbank berät sich bezüglich des Drucks der Banknoten mit dem Wirtschaftsausschuss der Volksvertretung (Wulesi Dschirga). Organisation und Arbeitsweise dieser Bank werden durch Gesetz geregelt.

 

Artikel 13

Der Staat entwickelt und implementiert wirksame Programme zur Entwicklung der Industrie und zum Wachstum der Produktion, zur Erhöhung des Lebensstandards der Bürger und zur Unterstützung des Handwerks.

 

Artikel 14

Der Staat entwickelt und implementiert wirksame Programme im Rahmen seiner finanziellen Möglichkeiten zur Entwicklung von Landwirtschaft und Viehzucht, zur Verbesserung der wirtschaftlichen, sozialen und existenziellen Bedingungen der Bauern und Viehzüchter sowie zur Ansiedlung der Nomaden und zur Verbesserung ihrer Lebensbedingungen.

Der Staat ergreift notwendige Maßnahmen zur Beschaffung von Wohnungen und Verteilung öffentlichen Eigentums an bedürftige Bürger nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen und im Rahmen seiner finanziellen Möglichkeiten.

 

Artikel 15

Der Staat ist verpflichtet, zum Schutz und zur Gesundung der Wälder und der Umwelt notwendige Maßnahmen zu ergreifen.

 

Artikel 16

Von den Sprachen Paschtu, Dari, Usbekisch, Turkmenisch, Balutschi, Paschai, Nuristani, Pamiri und anderen im Land gebräuchlichen Sprachen sind Paschtu und Dari die offiziellen Sprachen des Staates.

In Gebieten, wo die Mehrheit der Bevölkerung eine der Sprachen Usbekisch, Turkmenisch, Paschai, Nuristani, Balutschi oder Pamiri spricht, ist diese neben Paschtu und Dari die dritte offizielle Sprache. Die Durchführung wird durch Gesetz geregelt.

Der Staat entwickelt und implementiert wirksame Programme zur Förderung und Entwicklung aller Sprachen Afghanistans.

Veröffentlichungen der Printmedien sowie Rundfunk- und Fernsehsendungen sind in allen gebräuchlichen Sprachen des Landes erlaubt.

Die bisher gebräuchlichen wissenschaftlichen, nationalen und administrativen Fachausdrücke werden beibehalten.

 

Artikel 17

Der Staat ergreift notwendige Maßnahmen zur Förderung von Bildung und Erziehung auf allen Ebenen, zur Entwicklung von religiöser Bildung, zur Regelung und zur Verbesserung der Lage der Moscheen, der religiösen Schulen (madaris) sowie der religiösen Zentren.

 

Artikel 18

Der Kalender des Landes beruht auf der Auswanderung (Hidschra) des Propheten (Gott segne ihn und schenke ihm Heil).

Die Arbeitsgrundlage der staatlichen Verwaltung ist der Sonnenkalender (Hidschri Schamsi).

Freitage, der 28. Asad (19. August) und der 8. Saur (28. April) sind Feiertage. Andere Feiertage werden durch Gesetz geregelt.

 

Artikel 19

Die Flagge von Afghanistan besteht aus drei gleichen Teilen in den Farben schwarz, rot und grün, die von links nach rechts senkrecht nebeneinander stehen. Die Breite jeder Farbspalte ist halb so groß wie ihre Länge. In der Mitte der Flagge befindet sich das Nationalwappen Afghanistans.

Es besteht aus einer Gebetsnische (Mehrab) und einer Kanzel (Munbar) in Weiß, an deren beiden Außenseiten je eine Flagge angebracht ist. In der Mitte oberhalb des Wappens sind die heiligen Worte „Es gibt keinen Gott außer Gott und Mohammad ist sein Gesandter“ und „Gott ist groß“ und die Strahlen der aufgehenden Sonne zu sehen. Im unteren Teil des Wappens befindet sich das Datum 1298 Hidschra (1919) und das Wort „Afghanistan“. Das Wappen ist auf beiden Seiten von Weizenähren umgeben.

Die Verwendung der Flagge und des Nationalwappens wird durch Gesetz geregelt.

 

Artikel 20

Der Text der Nationalhymne Afghanistans ist in Paschtu. Darin werden der Ruf „Gott ist groß“ (Allahu Akbar) und die Namen aller ethnischen Gruppen Afghanistans erwähnt.

Artikel 21

Die Hauptstadt Afghanistans ist die Stadt Kabul.

 

 

 

 

 

 

Kapitel 2

 

Die Grundrechte und Pflichten der Bürger

 

 

Artikel 22

Jegliche Form von Benachteiligung oder Bevorzugung unter den Bürgern Afghanistans ist verboten.

Die Bürger Afghanistans, sowohl Frauen als auch Männer, haben vor dem Gesetz gleiche Rechte und Pflichten.

 

Artikel 23

Das Leben ist ein Geschenk Gottes und ein natürliches Recht des Menschen. Niemandem wird dieses Recht ohne gesetzliche Grundlage aberkannt.

 

Artikel 24

Freiheit ist ein natürliches Recht des Menschen. Dieses Recht hat keine Grenzen, es sei denn, es verletzt die Freiheit der anderen oder das Interesse der Allgemeinheit, die durch Gesetz geregelt werden.

Freiheit und Menschenwürde sind unantastbar. Der Staat ist verpflichtet, Freiheit und Menschenwürde zu achten und zu schützen.

 

Artikel 25

Unschuld ist der ursprüngliche Zustand des Menschen.

Ein Beschuldigter gilt so lange als unschuldig bis er durch ein rechtskräftiges Urteil eines zuständigen Gerichts[1] verurteilt wird.

 

Artikel 26

Eine Straftat ist eine persönliche Handlung.

Die Strafverfolgung, Festnahme und Inhaftierung eines Beschuldigten und der Vollzug der Strafe können nicht an einer anderen Person vorgenommen werden.

 

Artikel 27

Eine Handlung ist nur aufgrund eines Gesetzes strafbar, das in Kraft getreten ist, bevor die Tat begangen wurde. Niemand darf strafverfolgt, festgenommen oder inhaftiert werden außer aufgrund gesetzlicher Bestimmungen.

Niemand darf bestraft werden außer durch ein Urteil eines zuständigen Gerichts und aufgrund der gesetzlichen Bestimmungen, die vor der begangenen Tat in Kraft getreten sind.

 

Artikel 28

Kein Bürger Afghanistans, der einer Straftat beschuldigt wird, darf an einen ausländischen Staat ausgeliefert werden, außer aufgrund bilateraler Vereinbarungen und internationaler Abkommen, denen Afghanistan beigetreten ist.

Kein Afghane[2] wird durch Entzug der Staatsangehörigkeit bestraft oder zur Verbannung im In- oder ins Ausland verurteilt.

 

Artikel 29

Folter ist verboten.

Niemand darf, auch nicht zur Wahrheitsfindung, eine Person foltern oder den Befehl dazu geben, selbst wenn sie strafrechtlich verfolgt, festgenommen, inhaftiert oder zu einer Strafe verurteilt worden ist.

Die Verhängung einer Strafe, welche die Menschenwürde verletzt, ist verboten.

 

Artikel 30

Aussagen, Geständnisse und Zeugenaussagen von Beschuldigten oder anderen Personen, die durch Zwang[3] erlangt worden sind, sind ungültig.

Ein Geständnis einer Straftat bedeutet, dass der Beschuldigte es freiwillig im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte vor einem zuständigen Gericht ablegt.

 

Artikel 31

Jede Person kann unmittelbar nach der Festnahme zur Widerlegung der Anschuldigung oder zur Durchsetzung ihres Rechts einen Verteidiger bestimmen.

Der Beschuldigte hat das Recht, unmittelbar nach seiner Festnahme über die erhobene Anschuldigung informiert zu werden und innerhalb der Frist, die das Gesetz festlegt, vor Gericht vorgeführt zu werden.

Der Staat wird einem bedürftigen Beschuldigten in Strafprozessen einen Verteidiger bestellen.

Die Vertraulichkeit der Gespräche sowie das Post- und Fernmeldegeheimnis zwischen dem Beschuldigten und seinem Verteidiger sind unverletzlich.

Die Pflichten und Befugnisse der Verteidiger werden durch Gesetz geregelt.

 

Artikel 32

Verschuldung führt nicht zur Einschränkung oder zum Entzug der Freiheit einer Person.

Die Modalitäten der Schuldenbegleichung werden durch Gesetz geregelt.

 

Artikel 33

Die Bürger Afghanistans haben das aktive und passive Wahlrecht.

Die Modalitäten der Ausübung dieses Rechts werden durch Gesetz geregelt.

 

Artikel 34

Die Meinungsfreiheit ist unverletzlich.

Jeder Afghane hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild sowie mit anderen Mitteln unter Berücksichtigung der in dieser Verfassung verankerten Bestimmungen zu äußern.

Jeder Afghane hat das Recht, nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen Inhalte ohne vorherige Vorlage bei den staatlichen Stellen zu drucken und zu verbreiten.

Bestimmungen über Verlagswesen, Rundfunk, Fernsehen, Presse und sonstige Massenmedien werden durch Gesetz geregelt.

 

Artikel 35

Afghanische Staatsbürger haben das Recht, zur Wahrung materieller oder geistig-moralischer Ziele nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen Vereinigungen zu bilden.

Afghanische Staatsbürger haben das Recht, nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen politische Parteien zu gründen, vorausgesetzt, dass

1.          Programm und Satzung der Partei den Prinzipien der heiligen Religion des Islam sowie den in dieser Verfassung enthaltenen Bestimmungen und Werten nicht widersprechen;

2.          Struktur und Finanzquellen der Partei offen gelegt werden;

3.          sie keine militärischen und paramilitärischen Strukturen und Ziele hat;

4.          sie nicht von einer ausländischen politischen Partei oder sonstigen ausländischen Quellen abhängig ist.

Gründung und Tätigkeit einer Partei auf ethnischer, geographischer, sprachlicher und islamisch-rechtlicher Basis (mazhabe fiqhī) ist nicht zulässig.

Eine Vereinigung oder eine Partei, die nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen gegründet worden ist, kann nicht ohne gesetzliche Gründe und das Urteil eines zuständigen Gerichts aufgelöst werden.

 

Artikel 36

Afghanische Staatsbürger haben das Recht, sich nach Maßgabe der Gesetze für friedliche und rechtmäßige Zwecke unbewaffnet zu versammeln und zu demonstrieren.

 

Artikel 37

Geheime und freie Korrespondenz und Kommunikation der Bürger, sei es in schriftlicher, fernmündlicher, telegraphischer oder anderer Form sind unverletzlich.

Der Staat hat nicht das Recht, private Post und Fernmeldegespräche der Bürger zu kontrollieren außer nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen.

 

Artikel 38

Die Privatwohnung ist unverletzlich.

Niemand, auch nicht der Staat, darf ohne Erlaubnis der Bewohner oder ohne den Beschluss eines zuständigen Gerichts eine Privatwohnung betreten oder sie durchsuchen, außer in Situationen und mit Methoden, die im Gesetz vorgesehen sind.

Bei einer offenkundigen Straftat darf die zuständige Polizei ohne vorherige Erlaubnis eines Gerichts die Privatwohnung betreten oder sie durchsuchen. Der Beamte ist verpflichtet, nachdem er das Haus betreten bzw. durchsucht hat, innerhalb einer gesetzlich geregelten Frist den Gerichtsbeschluss einzuholen.

 

Artikel 39

Jeder Afghane hat das Recht, überall im Land zu reisen und sich niederzulassen, außer in Gegenden, in denen dies gesetzlich verboten ist.

Jeder Afghane hat das Recht, nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen ins Ausland zu reisen und nach Afghanistan zurückzukehren. Der Staat schützt die Rechte der afghanischen Staatsbürger im Ausland.

 

Artikel 40

Das Eigentum ist unverletzlich.

Niemand wird daran gehindert, Eigentum zu erwerben und daraus Nutzen zu ziehen, außer nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen.

Niemand wird ohne gesetzliche Grundlage und den Beschluss eines zuständigen Gerichts enteignet.

Enteignung privaten Eigentums ist nur zum Wohl der Allgemeinheit auf der Grundlage eines Gesetzes gegen eine vorher festgesetzte und gerechte Entschädigung zulässig.

Prüfung und Offenlegung von privaten Eigentum finden nur aufgrund gesetzlicher Bestimmungen statt.

 

Artikel 41

Ausländer haben nicht das Recht, in Afghanistan Grundbesitz zu erwerben.

Verpachtung von Grundbesitz zwecks Investition ist nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zulässig.

Der Verkauf von Grundbesitz an die diplomatischen Vertretungen auswärtiger Staaten sowie an die internationalen Organisationen, deren Mitglied Afghanistan ist, ist nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zulässig.

 

Artikel 42

Jeder Afghane ist verpflichtet, dem Staat nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen Steuern und Zölle zu entrichten.

Es werden keine Steuern und Zölle ohne gesetzliche Grundlage erhoben.

Die Höhe der Steuern und Zölle und die Art ihrer Entrichtung wird unter Berücksichtigung der sozialen Gerechtigkeit durch ein Gesetz geregelt.

Diese Bestimmung gilt auch für Ausländer und ausländische Firmen.

Alle erhobenen Steuern, Zölle und Einnahmen werden auf ein einheitliches Staatskonto überwiesen.

 

Artikel 43

Alle afghanischen Staatsbürger haben das Recht auf Bildung. Sie wird vom Staat bis zum Hochschulabschluss in den staatlichen Bildungseinrichtungen kostenlos bereitgestellt.

Der Staat ist verpflichtet, zur gleichmäßigen Verbreitung der Bildung in ganz Afghanistan und zur Sicherung der obligatorischen mittleren Schulbildung effektive Programme zu entwickeln und zu verwirklichen. Er soll außerdem die Voraussetzung für den Unterricht der Muttersprachen in den Gebieten, in denen sie gesprochen werden, schaffen.

 

Artikel 44

Der Staat ist verpflichtet, zur Förderung einer gleichmäßigen Verbreitung der Bildung für Frauen, zur Verbesserung der Bildung der Nomaden sowie zur Beseitigung des Analphabetismus im Land effektive Programme zu entwickeln und zu verwirklichen.

 

Artikel 45

Der Staat entwickelt und verwirklicht einen einheitlichen, auf den Vorschriften der heiligen Religion des Islam, der nationalen Kultur sowie wissenschaftlichen Methoden beruhenden Lehrplan. Der Lehrplan für den Religionsunterricht an den Schulen wird auf der Grundlage der in Afghanistan existierenden islamischen Glaubensrichtungen (mazahib) zusammengestellt.

 

 

Artikel 46

Der Staat ist zur Gründung und Verwaltung von höheren, allgemeinen und beruflichen Bildungseinrichtungen verpflichtet.

Afghanische Staatsbürger können mit staatlicher Genehmigung höhere, allgemeine und berufliche Bildungseinrichtungen sowie Alphabetisierungskurse einrichten.

Der Staat kann Ausländern die Gründung von höheren, allgemeinen und beruflichen Bildungseinrichtungen nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen genehmigen.

Die Aufnahmebedingungen in den höheren staatlichen Bildungseinrichtungen und sonstige damit zusammenhängende Angelegenheiten werden durch Gesetz geregelt.

 

Artikel 47

Der Staat entwickelt effektive Programme zur Förderung von Wissenschaft, Kultur, Literatur und Kunst.

Der Staat garantiert die Rechte der Autoren, Erfinder und Entdecker. Er fördert und unterstützt die wissenschaftliche Forschung auf allen Gebieten und verbreitet die wirkungsvolle Nutzung ihrer Ergebnisse nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen.

 

 

Artikel 48

Jeder Afghane hat das Recht auf Arbeit.

Arbeitszeit, bezahlter Urlaub, Arbeitsrecht und die Rechte der Beschäftigten sowie sonstige damit zusammenhängende Angelegenheiten werden durch Gesetz geregelt.

Die Wahl des Berufes und des Handwerks ist im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen frei.

 

Artikel 49

Zwangsarbeit ist verboten.

Aktive Teilnahme in Kriegszeiten, bei Katastrophen und in sonstigen Situationen, die das Leben der Bürger und das Wohl der Allgemeinheit gefährden, gehört zu den nationalen Pflichten aller Afghanen.

Kinder dürfen nicht der Zwangsarbeit unterworfen werden.

 

Artikel 50

Der Staat ist verpflichtet, die erforderlichen Maßnahmen zur Schaffung einer intakten Verwaltung und Verwirklichung von Reformen im Verwaltungssystem des Landes zu ergreifen.

Die Verwaltung soll ihre Aufgaben in völliger Neutralität und nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen wahrnehmen.

Die afghanischen Staatsbürger haben im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen das Recht auf Information durch die Behörden. Dieses Recht kann nicht eingeschränkt werden, außer wenn die Rechte anderer oder die öffentliche Sicherheit verletzt werden.

Die afghanischen Staatsbürger haben auf der Grundlage der gesetzlichen Bestimmungen nach Maßgabe ihrer Eignung ohne jegliche Diskriminierung Zugang zum Staatsdienst.

 

Artikel 51

Jeder, der durch einen Akt der Verwaltung unzulässig geschädigt wird, hat ein Recht auf Entschädigung, das er vor Gericht einklagen kann.

Mit Ausnahme der im Gesetz erläuterten Fälle darf der Staat ohne Beschluss eines zuständigen Gerichts seinen Rechtsanspruch nicht geltend machen.

 

Artikel 52

Der Staat stellt kostenlos nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen medizinische Vorsorge, ärztliche Behandlung und medizinische Einrichtungen für alle Bürger zur Verfügung.

Der Staat fördert und schützt nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen die Errichtung und Ausweitung privater medizinischer Dienste und Gesundheitszentren.

Der Staat ergreift die erforderlichen Maßnahmen zur Förderung einer gesunden Leibeserziehung und zur Entwicklung der nationalen und regionalen Sportarten.

 

Artikel 53

Der Staat ergreift nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen die erforderlichen Maßnahmen zur Regelung medizinischer Dienste und finanzieller Unterstützung für die Hinterbliebenen der Kriegsopfer (Schuhada) und Vermissten sowie zur Wiedereingliederung der Behinderten und Invaliden und zur Ermöglichung ihrer aktiven Teilnahme an der Gesellschaft.

Der Staat sichert die Rechte der Rentner und leistet erforderliche Hilfe für ältere Menschen, Kriegswitwen, Behinderte, Invaliden und Waisen nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen.

 

Artikel 54

Die Familie bildet den Grundpfeiler der Gesellschaft und steht unter dem Schutz des Staates.

Der Staat ergreift erforderliche Maßnahmen zur Sicherung der körperlichen und seelischen Unversehrtheit der Familie, insbesondere von Mutter und Kind, zur Erziehung der Kinder und zur Beseitigung von Traditionen, die den Bestimmungen der heiligen Religion des Islam widersprechen.

 

Artikel 55

Die Verteidigung des Landes ist die Pflicht aller Staatsbürger Afghanistans.

Die Modalitäten des Wehrdienstes werden durch Gesetz geregelt.

 

Artikel 56

Die Bestimmungen der Verfassung zu beachten, Gesetze zu befolgen und öffentliche Ordnung und Sicherheit zu respektieren, ist die Pflicht aller Bürger Afghanistans.

Unkenntnis über die gesetzlichen Bestimmungen kann nicht als Entschuldigung gelten.

 

Artikel 57

Der Staat sichert die Rechte und Freiheiten ausländischer Staatsbürger in Afghanistan nach Maßgabe des Gesetzes. Diese Personen sind verpflichtet, nach den Regeln des Völkerrechts die Gesetze des Staates Afghanistan zu beachten.

 

Artikel 58

Um die Einhaltung der Menschenrechte in Afghanistan zu überwachen, zu verbessern und zu unterstützen, gründet der Staat die Unabhängige Menschenrechtskommission Afghanistans.

Jeder kann, wenn seine Menschenrechte verletzt worden sind, bei dieser Kommission Beschwerde einreichen.

Die Kommission kann Fälle von Menschenrechtsverletzungen an die Justizbehörden weiterleiten und die Bürger bei der Verteidigung ihrer Rechte unterstützen.

Struktur und Arbeitsweise dieser Kommission werden durch Gesetz geregelt.

 

Artikel 59

Niemand darf die in dieser Verfassung verankerten Rechte und Freiheiten missbrauchen, um gegen die Unabhängigkeit, territoriale Integrität, Souveränität und nationale Einheit vorzugehen.

 

 

 

Kapitel 3

 

Der Staatspräsident

 

 

Artikel 60

Der Staatspräsident ist Staatsoberhaupt[4] der Islamischen Republik Afghanistan und führt seine Aufgaben in den Bereichen der Exekutive, der Legislative und der Judikative nach Maßgabe der Bestimmungen dieser Verfassung durch.

Der Staatspräsident hat zwei Vizepräsidenten, einen ersten und einen zweiten.

Der Bewerber um das Amt des Staatspräsidenten verkündet der Nation zeitgleich mit seiner Kandidatur die Namen der Vizepräsidenten.

Der erste Vizepräsident handelt in Abwesenheit, beim Rücktritt oder im Todesfall des Staatspräsidenten nach Maßgabe der in dieser Verfassung verankerten Bestimmungen.

In Abwesenheit des ersten Vizepräsidenten führt der zweite Vizepräsident nach Maßgabe der in dieser Verfassung verankerten Bestimmungen die Geschäfte.

 

Artikel 61

Der Staatspräsident wird mit mehr als fünfzig Prozent der abgegebenen Stimmen in freier, allgemeiner, geheimer und unmittelbarer Wahl gewählt.

Das Amt des Staatspräsidenten endet am 01. Jawuza (22. Mai) des fünften Jahres nach den Wahlen. Die Wahl zum neuen Staatspräsidenten findet innerhalb von dreißig bis sechzig Tagen vor dem Ende der Amtszeit des amtierenden Staatspräsidenten statt.

Erhält kein Bewerber im ersten Wahlgang mehr als fünfzig Prozent der abgegebenen Stimmen, findet innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe des ersten Wahlergebnisses ein zweiter Wahlgang statt. An dieser Wahl nehmen nur die beiden Bewerber teil, die im ersten Wahlgang die höchste Stimmenanzahl erhalten haben.

Wer im zweiten Wahlgang die meisten Stimmen auf sich vereinigt, ist als Staatspräsident gewählt. Wenn einer der Bewerber um das Amt des Staatspräsidenten während des ersten oder zweiten Wahlgangs oder nach der Wahl, aber vor Bekanntgabe des Wahlergebnisses, stirbt, wird die Wahl nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen wiederholt.

 

Artikel 62

Bewerber um das Amt des Staatspräsidenten müssen folgende Bedingungen erfüllen:

1.    er soll afghanischer Staatsbürger, Muslim, von afghanischen Eltern geboren sein und nicht die Staatsangehörigkeit eines anderen Landes besitzen;

2.    er soll am Tage der Bewerbung nicht unter vierzig Jahre alt sein;

3.    er soll nicht von einem Gericht wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit, wegen einer Straftat oder zur Aberkennung seiner bürgerlichen Rechte verurteilt worden sein.

Niemand darf für mehr als zwei Amtsperioden als Staatspräsident gewählt werden.

Die genannten Bestimmungen dieses Artikels gelten auch für die beiden Vizepräsidenten.

 

Artikel 63

Der Staatspräsident leistet bei seinem Amtsantritt nach einem besonderen, durch Gesetz geregelten Verfahren folgenden Amtseid:

„Im Namen Allahs, des Erbarmers, des Barmherzigen. Im Namen des allmächtigen Gottes (Erhaben sei seine Majestät) schwöre ich, der heiligen Religion des Islam zu gehorchen und sie zu schützen, die Verfassung und die sonstigen Gesetze zu achten und ihre Umsetzung zu überwachen, die Unabhängigkeit, nationale Souveränität und territoriale Integrität Afghanistans zu wahren und die Rechte und Interessen der Bürger Afghanistans zu schützen sowie mich mit Hilfe des erhabenen Gottes und mit der Unterstützung der Nation mit meiner Kraft für das Wohl und den Fortschritt des afghanischen Volkes einzusetzen.“

 

Artikel 64

Der Staatspräsident hat die folgenden Befugnisse und Pflichten:

1.          er überwacht die Anwendung der Verfassung;

2.          er bestimmt mit Zustimmung der Nationalversammlung (Schuraye Milli) die Richtlinien der Politik des Landes;

3.          er ist Oberster Befehlshaber der Streitkräfte Afghanistans;

4.          er erklärt jeweils mit Zustimmung der Nationalversammlung den Krieg und verkündet den Waffenstillstand;

5.          er trifft notwendige Entscheidungen bei der Verteidigung der territorialen Integrität und der Bewahrung der Unabhängigkeit;

6.          er entsendet mit Zustimmung der Nationalversammlung Einheiten der Streitkräfte ins Ausland;

7.          er beruft die Große Ratsversammlung (Loya Dschirga) ein, mit Ausnahme der in Artikel 69 dieser Verfassung beschriebenen Situation;

8.          er verkündet mit Zustimmung der Nationalversammlung den Ausnahmezustand und dessen Beendigung;

9.          er eröffnet die Sitzungen der Nationalversammlung und der Großen Ratsversammlung;

10.      er nimmt den Rücktritt der Vizepräsidenten entgegen;

11.      er ernennt und entlässt mit Zustimmung der Volksvertretung die Minister, den Generalstaatsanwalt, den Präsidenten der Nationalbank, den Leiter des Nationalen Sicherheitsdienstes sowie den Leiter des Roten Halbmondes und nimmt deren Entlassungsgesuche entgegen;

12.      er ernennt mit Zustimmung der Volksvertretung den Präsidenten und die Mitglieder des Obersten Gerichtshofs;

13.      er ernennt und entlässt nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen Richter, Offiziere der Streitkräfte, der Polizei, des Nationalen Sicherheitsdienstes sowie die hohen Beamten der Verwaltung, er versetzt sie in den Ruhestand und nimmt ihre Rücktrittsgesuche entgegen;

14.      er ernennt die Leiter der diplomatischen Vertretungen in den auswärtigen Staaten und bei den internationalen Organisationen;

15.      er nimmt die Beglaubigungsschreiben der auswärtigen Diplomaten in Afghanistan entgegen;

16.      er unterzeichnet Gesetze und gesetzgebende Verordnungen;

17.      er erteilt nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen Vollmacht zum Abschluss zwischenstaatlicher Verträge;

18.      er mindert und erlässt Strafen nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen;

19.      er vergibt nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen Medaillen, Orden und Ehrentitel;

20.      er setzt nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen Kommissionen zur Verbesserung der Verwaltung des Landes ein;

21.      er übt sonstige, in dieser Verfassung enthaltene Befugnisse und Pflichten aus.

 

Artikel 65

Der Staatspräsident kann sich in wichtigen nationalen, politischen, sozialen und wirtschaftlichen Fragen in einer Volksbefragung[5] an die Bürger Afghanistans wenden.

Die Durchführung einer Volksbefragung darf den Bestimmungen dieser Verfassung nicht widersprechen und darf nicht zu ihrer Änderung führen.

 

 

Artikel 66

Der Staatspräsident orientiert sich bei der Ausübung der in dieser Verfassung verankerten Befugnisse am Wohl des afghanischen Volkes.

Er darf nicht ohne gesetzliche Bestimmung staatliches Eigentum verkaufen oder verschenken.

Er darf sich bei der Ausübung seiner Befugnisse nicht von sprachlichen, regionalen, ethnischen, religiösen und parteipolitischen Überlegungen leiten lassen.

 

Artikel 67

Im Falle des Rücktritts, der Absetzung oder des Todes sowie einer schweren Erkrankung, die den Staatspräsidenten an der Ausübung seiner Pflichten hindert, nimmt der erste Vizepräsident die Befugnisse und Pflichten des Staatspräsidenten wahr.

Der Staatspräsident verkündet der Nationalversammlung (Schuraye Milli) seinen Rücktritt persönlich.

Die schwere Erkrankung wird durch ein kompetentes Ärztekollegium, das vom
Obersten Gerichtshof bestimmt wird, festgestellt.

In solchen Fällen findet gemäß Artikel 61 dieser Verfassung die Wahl eines neuen Staatspräsidenten innerhalb von drei Monaten statt.

Der erste Vizepräsident ist während seiner Amtszeit als Übergangspräsident zu folgenden Handlungen nicht befugt:

1.          Änderung der Verfassung ;

2.          Entlassung von Ministern;

3.          Durchführung einer Volksbefragung.

Die Vizepräsidenten können sich nach Maßgabe der Bestimmungen dieser Verfassung um das Präsidentenamt bewerben.

Bei Abwesenheit des Staatspräsidenten werden die Aufgaben des ersten Vizepräsidenten vom Staatspräsidenten festgelegt.

 

Artikel 68

Wenn einer der Vizepräsidenten zurücktritt oder stirbt, wird an seiner Stelle eine andere Person vom Staatspräsidenten mit Zustimmung der Volksvertretung ernannt.

Im Falle des gleichzeitigen Todes des Staatspräsidenten und des ersten Vizepräsidenten nehmen der Reihenfolge nach der zweite Vizepräsident, der Präsident des Ältestenrats (Meschrano Dschirga), der  Präsident der Volksvertretung (Wulesi Dschirga) und der Außenminister gemäß Artikel 67 dieser Verfassung die Aufgaben des Staatspräsidenten wahr.

 

Artikel 69

Der Staatspräsident ist gemäß diesem Artikel dem Volk und der Volksvertretung (Wulesi Dschirga) gegenüber verantwortlich.

Eine Anklage gegen den Staatspräsidenten wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Hochverrat oder einer Straftat kann mit einem Drittel der Stimmen der Mitglieder der Volksvertretung beantragt werden. Wenn dieser Antrag mit Zweidrittelmehrheit der Mitglieder der Volksvertretung angenommen wird, beruft die Volksvertretung innerhalb eines Monats die Große Ratsversammlung (Loya Dschirga) ein.

Wenn die Große Ratsversammlung die Anklage mit Zweidrittelmehrheit der Mitglieder annimmt, wird der Staatspräsident seines Amtes enthoben und der Fall einem Sondergericht übertragen. Das Sondergericht besteht aus dem Präsidenten des Ältestenrats (Meschrano Dschirga), drei Mitgliedern der Volksvertretung (Wulesi Dschirga) und drei Mitgliedern des Obersten Gerichtshofs. Das Gerichtsverfahren wird von einer Person geleitet, die von der Großen Ratsversammlung bestimmt wird.

In einem solchen Fall finden die in Artikel 67 verankerten Bestimmungen dieser Verfassung Anwendung.

 

Artikel 70

Gehalt und Ausgaben des Staatspräsidenten werden durch Gesetz geregelt.

Der Staatspräsident ist berechtigt, außer im Fall seiner Absetzung, nach Ablauf seiner Amtszeit bis an sein Lebensende nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen Bezüge für diese Amtszeit zu erhalten.

 

 

 

Kapitel 4

 

Die Regierung

 

 

Artikel 71

Die Regierung besteht aus den Ministern, die unter der Leitung des Staatspräsidenten ihre Aufgaben wahrnehmen.

Die Anzahl der Minister und ihre Aufgaben werden durch Gesetz geregelt.

 

Artikel 72

Jede Person, die als Minister ernannt wird, soll folgende Bedingungen erfüllen:

1.          sie soll nur die afghanische Staatsangehörigkeit besitzen. Sollte ein Bewerber um ein Ministerium zusätzlich die Staatsangehörigkeit eines anderen Landes besitzen, ist die Volksvertretung (Wulesi Dschirga) berechtigt, ihn zu bestätigen oder abzulehnen;

2.          sie soll höhere Bildung, Berufserfahrung und einen guten Leumund haben;

3.          sie soll nicht jünger als 35 Jahre alt sein;

4.          sie darf nicht von einem Gericht wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder wegen einer Straftat verurteilt worden sein und ihr dürfen nicht durch Gerichte ihre bürgerlichen Rechte aberkannt worden sein.

 

Artikel 73

Die Minister können aus den Reihen der Mitglieder der Nationalversammlung (Schuraye Milli) oder von außerhalb ernannt werden.

Wird ein Mitglied der Nationalversammlung als Minister ernannt, verliert er sein Mandat in der Nationalversammlung. An seiner Stelle rückt nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen eine andere Person nach.

 

Artikel 74

Die Minister leisten vor ihrem Amtsantritt in Anwesenheit des Staatspräsidenten folgenden Eid:

„Im Namen des erhabenen Gottes (Erhaben sei seine Majestät) schwöre ich, die heilige Religion des Islam zu schützen, die Verfassung und sonstigen Gesetze Afghanistans zu achten, die Rechte der Bürger zu wahren, die Unabhängigkeit, territoriale Integrität und nationale Einheit des afghanischen Volkes zu sichern und in all meinen Handlungen die Anwesenheit Gottes (Erhaben sei seine Majestät) zu erkennen und die mir übertragenen Pflichten ehrenhaft zu erfüllen“.

 

Artikel 75

Die Regierung hat folgende Pflichten:

1.          die Bestimmungen dieser Verfassung und sonstiger Gesetze umzusetzen und die rechtskräftigen Gerichtsurteile zu vollziehen;

2.          die Unabhängigkeit des Landes zu schützen, die territoriale Integrität zu verteidigen sowie die Interessen und die Würde Afghanistans in der internationalen Gemeinschaft zu wahren;

3.          die öffentliche Ordnung und Sicherheit zu gewährleisten und jegliche Art von Korruption in der Verwaltung zu unterbinden;

4.          den Staatshaushalt zu gestalten, die finanziellen Angelegenheiten des Staates zu regeln und das öffentliche Eigentum zu schützen;

5.          soziale, kulturelle, wirtschaftliche und technologische Programme zu entwickeln und zu verwirklichen;

6.          am Ende des Finanzjahres der Nationalversammlung einen Bericht über die bereits erledigten Aufgaben und über die wichtigsten Vorhaben im neuen Finanzjahr vorzulegen;

7.          sonstige Aufgaben, die gemäß dieser Verfassung und sonstiger Gesetze zu den Pflichten der Regierung gehören, durchzuführen.

 

Artikel 76

Die Regierung entwirft und beschließt Bestimmungen, um die Richtlinien der Politik des Landes durchzusetzen und ihre Aufgaben zu regeln. Diese Bestimmungen dürfen dem Inhalt und dem Geist der Gesetze nicht widersprechen.

 

Artikel 77

Die Minister erfüllen ihre Aufgaben als Leiter der Verwaltungseinheiten innerhalb der Grenzen, die diese Verfassung und sonstige Gesetze bestimmen.

Die Minister sind hinsichtlich der ihnen zugewiesenen Aufgaben dem Präsidenten und der Volksvertretung gegenüber verantwortlich.

 

Artikel 78

Wenn ein Minister wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Hochverrat oder sonstiger Straftaten angeklagt wird, wird der Fall unter Berücksichtigung des Artikels 134 dieser Verfassung an ein Sondergericht verwiesen.

 

Artikel 79

Die Regierung kann mit Ausnahme von Haushalts- und Finanzangelegenheiten während der Sitzungspausen der Volksvertretung in Ausnahmefällen Gesetzeserlasse verabschieden.

Die Gesetzeserlasse treten nach Unterzeichnung durch den Staatspräsidenten in Kraft. Sie müssen der Nationalversammlung innerhalb von dreißig Tagen nach ihrer ersten Sitzung vorgelegt werden. Sollten sie durch die Nationalversammlung abgelehnt werden, werden sie ungültig.

 

Artikel 80

Die Minister dürfen sich bei der Ausübung ihrer Befugnisse nicht von sprachlichen, regionalen, ethnischen, religiösen sowie parteipolitischen Überlegungen leiten lassen.

 

 

 

Kapitel 5

 

Die Nationalversammlung (Schuraye Melli)

 

 

Artikel 81

Die Nationalversammlung der Islamischen Republik Afghanistan manifestiert als höchstes Organ der Legislative den Willen des Volkes und vertritt die ganze Nation.

Jedes Mitglied der Nationalversammlung stellt bei der Abstimmung das Wohl der Allgemeinheit und das oberste Interesse des afghanischen Volkes in den Mittelpunkt seiner Entscheidung.

 

Artikel 82

Die Nationalversammlung besteht aus zwei Kammern: der Volksvertretung (Wulesi Dschirga) und dem Ältestenrat (Meschranu Dschirga).

Niemand darf gleichzeitig Mitglied beider Kammern sein.

 

Artikel 83

Mitglieder der Volksvertretung werden vom Volk in freier, allgemeiner, geheimer und unmittelbarer Wahl gewählt.

Ihr Mandat endet am 01. Saratan (22. Juni) des fünften Jahres nach ihrer Wahl, und die neue Volksvertretung beginnt mit ihrer Arbeit.

Die Neuwahl der Volksvertretung findet innerhalb von dreißig bis sechzig Tagen vor dem Ende der Wahlperiode der Volksvertretung statt.

Die Anzahl der Mitglieder der Volksvertretung beträgt proportional zur Bevölkerung jedes Bezirks höchstens 250 Mitglieder.

Die Wahlbezirke und sonstige damit zusammenhängende Angelegenheiten werden im Wahlgesetz geregelt.

Im Wahlgesetz werden notwendige Maßnahmen ergriffen, damit das Wahlsystem eine allgemeine und gerechte Vertretung aller Staatsbürger sichert. Proportional zur Bevölkerung sollen aus jeder Provinz mindestens zwei Frauen als Abgeordnete in die Volksvertretung gewählt werden.

 

Artikel 84

Die Mitglieder des Ältestenrats (Meschranu Dschirga) werden wie folgt gewählt bzw. ernannt:

1.          aus den Reihen der Mitglieder der einzelnen Provinzräte (Wilayat) wird ein Vertreter vom jeweiligen Rat für die Dauer von vier Jahren gewählt;

2.          aus den Reihen der Mitglieder der einzelnen Bezirksräte (Woluswali) der Provinzen wird ein Vertreter vom jeweiligen Rat für die Dauer von drei Jahren gewählt;

3.          das verbleibende Drittel der Mitglieder wird aus den Reihen der kundigen und erfahrenen Persönlichkeiten, einschließlich zweier Vertreter der Behinderten und Invaliden sowie zweier Vertreter der Nomaden (Kuchi) für die Dauer von fünf Jahren vom Staatspräsidenten ernannt.

50 % der vom Staatspräsidenten ernannten Mitglieder müssen Frauen sein.

Wer zum Mitglied des Ältestenrats gewählt wird, verliert sein Mandat in dem jeweiligen Rat. An seiner Stelle rückt eine andere Person nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen nach.


 

[1]     Dari „mahkamaye bā salāhiyat“ bedeutet wörtlich „kompetentes, autorisiertes Gericht“. Hierfür wird im Folgenden durchgehend die Übersetzung „zuständiges Gericht“ verwendet.

[2]     Grammatikalisch besteht im Persischen kein Unterschied zwischen männlichem und weiblichem Geschlecht. In Paschtu gibt es zwar die weibliche Form, sie wurde aber im Paschtu-Text der Verfassung nicht verwendet. Zur besseren Lesbarkeit der deutschen Übersetzung wird daher auch hier durchgehend die maskuline Form gebraucht, gemeint sind aber immer beide Geschlechter. Die Gleichberechtigung von Mann und Frau ist in Art. 22 dieser Verfassung verankert.

[3]     Arabisch „ikrāh” bedeutet sowohl „Zwang” als auch „Gewalt”.

[4]     Im Dari-Text heißt es „…steht an der Spitze der Islamischen Republik Afghanistans“.

[5]     Der ungenaue Dari-Ausdruck „ārāye omumiye mardom“ kann „Volksentscheid, allgemeine Volksbefragung, Referendum, allgemeine Abstimmung“ bedeuten. In Anlehnung an das Paschtu-Äquivalent „tolo pochtene“ (siehe Anmerkung des Übersetzers) wird hier der Ausdruck „Volksbefragung“ verwendet.

 

Fortsetzung folgt

 

nach Oben

 

Zurück

1. Jahr                  20. Hausgabe                                       Januar 2006